Stellungnahme zu den Entwürfen der Architekt:innen –  Auf Hochglanz polierte Mogelpackungen

Am 21. Juni 2024 veröffentlichte die Stadt Leipzig auf ihrer Website 3 Entwürfe zur Bebauung des Jahrtausendfelds. Gleichzeitig wurde bekannt, dass auf Initiative zweier Stadträt:innen der Fraktion Die Linke, die Stadtbau AG, die Eigentümerin des Jahrtausendfelds eingewilligt hätte, einen Teil der Fläche der Stadt zu übereignen.

Wir begrüßen, dass unsere – von mittlerweile fast 7000 Bürger:innen unterschriebene – Petition dazu beigetragen hat, das imposante Vorhaben noch einmal zu überdenken. Jedoch  können wir uns dem allgemeinen Schulterklopfen nicht anschließen. Zu intransparent sind die Entwürfe der Archtitekturbüros präsentiert worden, zu schwammig die Aussagen im Verwaltungsstandpunkt zu unserer Petition, zu viele Fragen bleiben unbeantwortet.

Wie von den Grünen nach langem Schweigen nun endlich öffentlich ausgesprochen, „wünscht“ die Eigentümerin das Vorhaben ohne einen Bebauungsplan möglichst schnell und ohne Teilhabe der Stadtgesellschaft durchzuführen – und das, obwohl der Stadtrat den Bebauungsplan bereits 2021 beschlossen hatte. Schauen wir uns unter diesem Gesichtspunkt die Entwürfe an, kommen wir nicht umhin, diese als Beruhigungspille wahrzunehmen.

Fehlende Transparenz

Die Stadt Leipzig hat die Entwürfe veröffentlicht, nicht jedoch die Auslobung an die Büros, die Einsicht darüber gibt, was für Anforderungen an den Ort und die Bebauung gestellt werden. Deshalb bleibt unklar, für wieviele Schüler:innen konkret geplant wird. Die LVZ spricht von 1600-1800 Schüler:innen. Doch weder 1600 noch 1800 sind ein Kompromiss zu den initial angedachten 2000 Schüler:innen, denn die in unserer Petition kritisierten Punkte werden dadurch keineswegs gelöst: Der Leipziger Westen ist stark betroffen vom Grünflächenschwund, von der Überhitzung des Viertels, vom Klimanotstand durch Flächenversiegelung und dem Fehlen notwendiger kühlender Schneisen inmitten von dichter Bebauung. Auch bleiben bei einer Verringerung der Anzahl der Schüler:innen (200 bis 400) , die infrastrukturellen Problematiken (Mehr-Verkehr, Bewegungsfreiheit, grüne Freiflächen), sowie die zunehmende Gentrifizierung unseres Viertels – für das die soziale Erhaltungssatzung gilt – weiterhin unbeachtet.

Welche Flächen werden genau an die Stadt abgegeben? Wie groß sind diese?

Ebenfalls gefeiert wurde in den lokalen Medien, dass die Stadtbau AG bereit sei, einen Teil der Fläche an die Stadt zu übereignen. Das Einlenken begrüßen wir grundsätzlich. Doch bleibt unklar, um welche Fläche es sich dabei handelt, wie groß sie ist, und was genau darauf geschehen soll. Dazu der Verwaltungsstandpunkt zu unserer Petition:

„..die öffentliche Freifläche, [die nach dem Neubau und der großteiligen Versiegelung des Feldes übrig bleibt] [soll sich] in Größe und Ausstattung an den Bedarfen der näheren Umgebung orientieren.“

An dieser Stelle bleibt der Verwaltungsstandpunkt wieder ungenau und definiert diese Bedarfe nicht. Aus der Stadtklimanalyse wissen wir jedoch, dass qualitativ hochwertige, öffentlich zugängliche Grün- und notwendige klimaaktive, kühlende und unversiegelte Flächen in Lindenau und Plagwitz absolute Mangelware sind; die Viertel sind sehr dicht bebaut und auf die Folgen des Klimawandels keineswegs vorbereitet.

Auf Hochglanz polierte Mogelpackungen

Wir haben 4 praktizierende Architekt:innen und 2 Stadtplaner:innen in unserem Umfeld zu den ausgewählten Entwürfen befragt. Alle heben folgende Punkte hervor:

  • Zuwegung/ Anfahrt. Zufahrten auf das Gelände/ parking spots für  den Eltern- Kindtransfer und für die Anlieferlogistik sind nicht klar definiert. Es bleibt daher uneindeutig, wie mit dem zu erwartenden infrastrukturell hohen Verkehrsaufkommen infolge der hohen Schüler:innenanzahl umgegangen werden soll.
  • Querungswege. Die Querung des Grundstücks im öffentlichen Bereich ist nicht sichtbar. Es sieht vorerst so aus, als wäre das Grundstück frei zugänglich und von Durchwegung und Öffentlichkeit geprägt, was aber, da es sich um eine Schule mit Grundschulteil handelt, nicht sein kann. Es wird Zäune geben.
  • Sicherheit. Wie wird die Sicherheit für soviele Menschen auf dem Gelände gewährleistet? Welche Flucht- und Rettungswege gibt es, wo sind die Zufahrten für die Feuerwehr?
  • Öffentliche Außenbereiche. Es gibt keine Aussagen zu privaten und öffentlichen Flächen. Grüne öffentliche Außenbereiche sind nicht klar definiert. Die Entwürfe lassen eine grüne Oase vermuten, jedoch finden wir, z.B. im Entwurf von Woltareck Fitzner Architekten mitten in einer solchen grünen Zone ein Sportfeld, das vermutlich abgezäunt sein wird. In keinem der Entwürfe sind überhaupt abgezäunte Bereiche erkennbar. Das begrünte Turnhallendach im Entwurf von Dohle + Lohse wird aus Sicherheitsgründen vermutlich nicht öffentlich begehbar sein, und auch keine große Vegetation wie Bäume tragen können. Etwaige Kompromisse durch einen Teilflächenerwerb durch die Stadt Leipzig werden in keinem der Entwürfe abgebildet.
  • Nachhaltigkeit und Verhältnismäßigkeit des Vorhabens. Auf dem Grundstück muss, bedingt durch seine vorangegangene  Nutzung, in Teilen der Boden ausgetauscht und der Abraum gesondert entsorgt werden. Alle Entwürfe zeigen großflächige Dachbegrünungen – in der Realität sind dies jedoch zumeist nur trocken begrünte Flächen, die das Gebäude vielleicht ein wenig herunterkühlen, aber der umliegenden Umgebung nichts zurückgeben. Begrünung soll nicht nur schön aussehen, sondern eine tatsächliche Feuchtigkeitssicherung im Boden (verhältnismäßig zur Fläche) gewährleisten, um Abkühlung und Luftbewegung zu bedingen. Dachbegrünungen der Gebäude in den Entwürfen sind weitaus ineffektiver als eine Bepflanzung mit System, die tatsächlich eine klimatische Funktion ausübt. Welche Feuchträume sollen durch ein ausreichendes Bebäumen auf der Fläche gesichert werden? In welchem Verhältnis stehen die zu erwartenden immensen Kosten zur Neubebauung? Ist dies als nachhaltige Entwicklung zu betrachten?
  • Höhe der Gebäude. Alle Entwürfe spielen mit einer Vier- und sogar Fünfgeschossigkeit an der Karl- Heine Straße, das entspricht einer Gebäudehöhe von ca. 20m, also in etwa der Höhe des Westwerks. Das 3-geschossige Taschenkaufhaus und die 4-geschossige Grundschule Gießerstraße verschwinden dahinter. Bei 2 von 3 Entwürfen sind Sportflächen auf den Dächern abgebildet. Hier wird das Gebäude noch höher durch entsprechend hohe Umzäunungen, um vor Personenabsturz und den Verkehr/ Passant:innen gegen herabfallende Gegenstände zu sichern.
  • Bauvolumen und Abstände. Die geplanten 1600 – 2000 Schüler:innen spiegeln sich nicht in den dargestellten Gebäudevolumen wieder, zumindest wenn man ähnliche Schulgrößen zum Vergleich nimmt. Die Entwürfe erscheinen zu klein. In der bisher getätigten öffentlichen Kommunikation wurden keine Aussagen zur Höhe der nutzbaren Flächen getroffen, mit denen man die Anzahl der Schüler:innen abgleichen kann. Vermutlich haben die beteiligten Architekturbüros selbst gemerkt, dass die Pläne von Stadtbau AG und LIS für die Größe des Feldes vorallem eines sind: nicht umsetzbar.

Desweiteren stellen wir noch einmal die Frage, wie eine öffentliche Mit-Nutzung, die seitens des Vorhabenträgers wiederholt angepriesen wurde und wird, überhaupt aussehen kann, da es sich bei der Leipzig International School um eine Ganztagsschule handelt, eine Mit-Nutzung daher wenn, dann erst nach Schulschluß erfolgen kann.

Gegenbeispiel Möbiusplatz

Für den Möbiusplatz im Leipziger Osten haben die Grünen indes einen Antrag auf einen Bebauungsplan eingebracht, mit der Begründung dass  „Städtebauliche Erhaltungssatzungen Freiflächen vor Bebauung schützen [können], soweit diese in der Lage sind, die städtebauliche Struktur zu prägen, selbst wenn eine Bebauung planungsrechtlich zulässig wäre.“ (BVerwG, Beschluss vom 3.12.2002 – 4 B 47/02). Liebe Grünen-Fraktion: warum stellt ihr euch im Leipziger Westen weiterhin quer?

Das Vorhaben auf dem Jahrtausendfeld steht exemplarisch für den Grünflächenschwund in den Städten allgemein. Dass mehr Menschen mehr Platz bedürfen steht außer Frage. Aber wie wollen wir in Städten in Zeiten von Klimanotstand leben? Stadtplanung auf dem Reißbrett, die wirtschaftlichen Interessen den Vorrang vor sozialgesellschaftlichen Bedarfen im Zeichen der Klimakrise lassen sind kein guter Weg dahin. Ein echtes Beteiligungsverfahren sowie ein Bebauungsplan, wie er 2021 vom Stadtrat beschlossen wurde, muss hier der erste Schritt sein. Auch wenn solche Vorgehensweisen länger dauern, können nur so Demokratie und Teilhabe in der wachsenden Stadt gelebt und gemeinsam konsensfähige Lösungen gefunden werden.

Leipzig, den 25.6.2024